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„Freie Fahrt für alle zu jeder Zeit gibt es nicht!“

Gespräch mit Verkehrswissenschaftler Haldor Jochim, FH Aachen

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Zum Konflikt um die zukünftige Verkehrsführung an der Rheinuferstraße führte Rathaus Ratlos ein Gespräch mit dem Verkehrswissenschaftler Professor Dr. Haldor Jochim, Fachhochschule Aachen. Seine Schwerpunkte sind Schienenanlagen, Bahnbetrieb, Öffentlicher Verkehr.

Rat Ratlos: Herr Jochim, wie beurteilen Sie die Diskussion um die Querung der Rheinuferstraße durch die Nord-Süd-Stadtbahn?

Jochim: Die Diskussion ist natürlich berechtigt und sinnvoll. Man muss Sorgen und Befürchtungen immer ernst nehmen. Aber man darf nicht das Maß verlieren und ein doch eher punktuelles Problem zum Glaubenskrieg für oder gegen das Auto aufblasen.

RR: Berechtigen die vorliegenden Daten dazu, unabdingbar von Stau auszugehen, so wie es im jüngsten Gutachten bei einer 5-Minuten-Taktung der Linie 16 prognostiziert wird?

Jochim: Wir müssen damit rechnen, dass bei einem 5-Minuten-Takt der Verkehrsfluss erheblich gestört wird, auch wenn sich das genaue Ausmaß nicht sicher vorhersagen lässt. Aber das wäre auch der Fall, wenn der KVB morgen einfiele, die Bahnen im 5-Minuten-Takt über die vorhandene Strecke zu schicken und den Ubierring mit einer Vorrangschaltung kreuzen zu lassen. Würden wir dann dort einen Tunnel fordern? Es gibt in Köln ungefähr dreißig höhengleiche Überfahrten zwischen Straßenbahnen und Hauptverkehrsstraßen.
Auch dort wurden Lösungen gefunden.
Freie Fahrt für alle zu jeder Zeit gibt es in einer Stadt wie Köln niemals. Objektiv betrachtet, geht es um prognostizierte Fahrzeitverlängerungen von 5 bis 6 Minuten bei einer Pkw-Fahrt über die Rheinuferstraße in der Hauptverkehrszeit. Keine Frage, das ist zu viel für einen so kurzen Abschnitt, aber es ist doch auch kein Weltuntergang. Wir sollten natürlich alle Möglichkeiten untersuchen, Fahrzeitverlängerungen dieser Größenordnung zu verringern.

RR: Welche Möglichkeiten halten Sie denn für hilfreich, das Verkehrsaufkommen zu reduzieren?

Jochim: An erster Stelle steht vernünftigerweise immer die verkehrstechnische Optimierung. Ich nenne zwei Beispiele und bewusst auch eines, das dem ÖPNV ein Opfer abverlangt. Im Gutachten steht, dass auch die Linksabbieger in die Schönhauser Straße den Abfluss auf der Rheinuferstraße in Richtung Süden behindern. Wenn das direkte Linksabbiegen in diesem Bereich unterbunden und auf die Wendefahrbahn vor der Südbrücke verlagert wird, ließe sich auf dem heutigen Mittelstreifen ein langer Abbiegefahrstreifen anordnen. Die Grünzeiten für die Rheinuferstraße könnten dann verlängert werden - natürlich zu Lasten der Wartezeiten für die Linksabbieger.

Andererseits könnte ich mir auch vorstellen, dass die Vorrangschaltung für die Straßenbahn nach Einführung des 5-Minuten-Takts in den kritischen drei Stunden des Tages nur in der Lastrichtung geschaltet wird. In der anderen Richtung ist der Nutzen der Vorrangschaltung viel kleiner. Wenn der volkswirtschaftliche Nutzen korrekt berechnet worden ist, dürften die Zuschüsse dadurch eigentlich nicht gefährdet sein. Das sind nur zwei Beispiele, sicher gibt es noch andere Möglichkeiten.

RR: Welche wären das?

Jochim: Wenn das alles nicht reicht, ist ein sechsstreifiger Ausbau immer noch günstiger und auch stadtverträglicher als eine Unterführung. Für eine Unterführung müssen viele Bäume gefällt werden, allein schon für die Einrichtung der Baustelle, und am Ende stehen dort Straßenrampen wie an der Nord-Süd-Fahrt – ein Bauwerk, das heute alle am liebsten verschwinden lassen würden.

RR: Welche Prognosen stellt die Fachwelt für die zukünftige Verkehrsentwicklung in Großstädten und was lässt sich daraus für Köln folgern?

Jochim: Global betrachtet, spricht vieles dafür, dass der Individualverkehr langfristig an Bedeutung verlieren wird. Im Kölner Raum nimmt aber die Bevölkerung weiter zu, und die Rheinuferstraße ist eine bedeutende Durchgangsstraße. Wir sollten uns also auf einen nachlassenden Kfz-Verkehr in diesem Fall nicht verlassen.

RR: Wenn Sie entscheiden könnten, welche Variante würden Sie wählen?

Jochim: Na ja, der Feudalismus ist ja abgeschafft … lassen Sie mich lieber ein Szenario entwickeln: Wenn jetzt fünf Millionen Euro in Fundamente für die Unterführung investiert wird, steht Köln in ein paar Jahren im Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler, weil dieses Bauwerk nicht mehr durchsetzbar sein wird, sobald den Menschen seine Dimensionen anschaulich vor Augen geführt worden sind. Stattdessen sollten wir uns auf verkehrstechnische Optimierungen und zur Not einen späteren, möglichst kurzen und effizienten sechsstreifigen Ausbau konzentrieren. Von allen Übeln ist dies das kleinste.

RR: Vielen Dank für das Gespräch.

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