30.11.19 –
Das neue Grundsatzprogramm soll langfristig Identifikation schaffen und richtungsweisend sein, indem es die Herausforderungen unserer Zeit und ihre Ursachen analysiert und grüne Handlungsperspektiven und Visionen aufzeigt. Wir kritisieren den Zwischenbericht daher in dreierlei Hinsicht: (1) in der unnötigen Beschränkung auf den Green New Deal als alleinigen Lösungsansatz für die immensen ökologischen Herausforderungen unserer Zeit, (2) in der unzureichenden Analyse der Ursachen sozialer Spannungen und ihrer Folgen für die Demokratie und (3) in seiner fehlenden Vision für ein lebensfreundlicheres Zusammenleben und Wirtschaften, in dem es mehr Raum für Zusammenhalt, Gemeinschaft und gelingende soziale Beziehungen gibt.
Zum ersten Punkt: Es ist unstrittig, dass der Rohstoff-, Ressourcen- und Landschaftsverbrauch sowie das Abfallaufkommen und die Emissionen der reichen Länder auf ein Niveau gesenkt werden müssen, das langfristig nachhaltig ist und ärmeren Ländern die Chance zur Entwicklung lässt. Der Zwischenbericht setzt zur Lösung allein auf den Green New Deal. Durch gezielte Forschungsförderung, umfangreiche staatliche Investitionen, vor allem aber durch strenge ordnungspolitische Maßnahmen, wie zum Beispiel durch eine konsequente Internalisierung der ökologischen Kosten, soll es durch neue Technologien möglich werden, das BIP-Wachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir stehen technischen Innovationen, Effizienzsteigerungen und grundsätzlich auch dem Versuch einer Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch sehr positiv gegenüber. Allerdings glauben wir nicht, dass ökonomisches Wachstum für gesellschaftliches Wohlergehen zwingend notwendig sein muss. Darüber hinaus ist es unserer Überzeugung nach kaum vorstellbar, dass wir angesichts der Höhe des derzeitigen globalen Ressourcenverbrauchs unsere Klimaziele bei steigender Produktion allein über technologischen Fortschritt erreichen können. Bisherige Effizienzgewinne wurden zudem meist durch eine steigende Produktion zunichte gemacht und es ist unsicher, ob die notwendigen Innovationen schnell genug entwickelt werden.
Der Zwischenbericht bietet hierzu keine zufriedenstellende Stellungnahme und stellt in seiner Fokussierung auf den Green New Deal eine fahrlässige Verengung des Denkens dar. Zu Zeiten solch großer Veränderungen bei gleichzeitiger Ungewissheit muss sich ein Grundsatzprogramm unserer Partei der Lösungsoffenheit verschreiben.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass eine Erreichung der Klimaziele nur über eine Veränderung unserer Lebensstile und Produktionsweisen funktionieren wird. Wenn wir dies nicht ansprechen, nehmen wir uns die Möglichkeit, gemeinschaftlich auszuhandeln, wie die Veränderung erfolgen kann. Der Zwischenbericht erscheint dahingegen als Versuch, in Bezug auf mögliche materielle Einschränkungen im Ungefähren zu bleiben, um möglichst keine Wählergruppen zu verschrecken. Von einem solchen politischen "Wischiwaschi" sind die Menschen bereits heute genervt und langfristig würde es die Grünen unglaubwürdig machen. Dies ist insofern schade, als es schon jetzt in Theorie und Praxis viele verschiedene Konzepte gibt, die eine solche Veränderung mit Leben füllen und positiv besetzen.
Zudem sollte auch in Betracht gezogen werden, dass eine konsequente Umsetzung der Maßnahmen des Green New Deals zu einer Reduzierung der BIP-Zahlen führen kann. Daher müssen unsere Institutionen, insbesondere der Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme, vorsorglich zur Unabhängigkeit vom BIP-Wachstum umgebaut werden. Nur so können wir ausreichend Spielraum für tiefgreifende umweltpolitische Maßnahmen schaffen, ohne gesellschaftliche Verwerfungen zu verursachen.
Zum zweiten Punkt: Viele Menschen empfinden ihre Bedürfnisse von Seiten der Politik als nicht wahrgenommen und vertreten, sie fühlen sich nicht anerkannt und in ihrer Würde als Mensch verletzt. Fakt ist, dass soziale Teilhabe derzeit nicht für alle gleichermaßen möglich ist. Ungleichheit, prekäre Arbeitsverhältnisse und Lobbyismus sind einige der Gründe hierfür.
Der Zwischenbericht benennt zwar heutige sozialen Spannungen, geht aber auf tiefere Ursachen kaum ein. Hier wünschen wir uns eine deutlich schärfere Analyse der Zusammenhänge zwischen unserer heutigen Wirtschaftsweise und den sozialen Problemen unserer Gesellschaft. Solange diese Zusammenhänge bei der Entwicklung von politischen Konzepten nicht in Rechnung gestellt werden, bleibt Sozialpolitik - deren Ausrichtung im Zwischenbericht für sich genommen durchaus begrüßenswert ist - grundsätzlich ein "Reparaturbetrieb".
Zudem sollte diskutiert und dargelegt werden, inwieweit alternative Entwürfe des Wirtschaftens für die oben dargestellten Probleme Lösungsansätze darstellen können. So können etwa wirtschaftsschwache Regionen von der Ansiedlung neuartiger Wirtschaftsweisen profitieren, in denen bewusst regional gehaltene Wirtschaftskreisläufe geschaffen werden, womit sich dann wiederum mehr Teilhabemöglichkeiten vor Ort schaffen lassen.
Zum dritten Punkt: Wir erwarten von einem Grundsatzprogramm, dass es die Steigerungsdynamik und die Ausbreitung von Marktprinzipien in andere Lebensbereiche hinterfragt und explizit die Vision einer Wirtschaft und Gesellschaft entwirft, die von Kooperation, Entschleunigung und der Überwindung des Patriarchats geprägt ist. Auf der Grundlage eines ausreichenden finanziellen und zeitlichen Freiraums wird den Menschen die Möglichkeit gegeben, sich selbstbestimmt sowohl innerhalb als auch außerhalb des Marktes nach eigenen Interessen und Wünschen zu entfalten. Eine konkrete Maßnahme, um diesen Freiraum zu schaffen, könnte unter anderem eine schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit sein.
Gelebte Beispiele wie die Postwachstumsbewegung, solidarische Produktionsgemeinschaften, progressive Genossenschaften, Gemeinwohlökonomie, gemeinwohloriente Unternehmen und Ökodörfer zeigen, dass es ein verbreitetes Bedürfnis nach solchen alternativen Lebens- und Produktionsweisen gibt und ein Wandel auf lokaler Ebene bereits vonstatten geht. Zwar werden Gemeinwohlorientierung und Genossenschaften im Zwischenbericht unterstützt, andere soziale Innovationen hingegen sollen nur “nicht erschwert oder verhindert” werden.
Wir halten es allerdings für geboten, dass das Grundsatzprogramm neben den notwendigen technologischen Innovationen auch soziale Innovationen eines gerechteren und solidarischeren Zusammenlebens enthält einschließlich der angesprochenen möglichen Änderungen in Produktion und Konsum. Denn zum heutigen Zeitpunkt wissen wir nicht, welche Art des Zusammenlebens sich langfristig als ökologisch und sozial tragbar erweisen wird. Alternative Entwürfe des Wirtschaftens und der Lebensgestaltung und Initiativen “on the ground” können als Experimentierräume wirken und durch gelebte Praxis Menschen vom Wandel überzeugen. Wir sollten sie daher als Chance begreifen und in unserem Grundsatzprogramm in Ergänzung zum Green New Deal deutlich benennen und fördern.
Kategorie